Bülows in Klein Schwechten
Einer ihrer
Nachkommen, Jobst Hinrich von Bülow, hat mir die folgenden, auf den Bülowschen
Familienbüchern von 1780, 1911 und 1914 basierenden Betrachtungen und
Überlegungen zum Leben und Wirken der Bülows während der Zeit, in der sie im
Besitz des Rittergutes Klein Schwechten waren, überlassen.
Das Leben von Johann
(23), dem ersten Bülow auf Klein Schwechten, stand ganz im Zeichen des
30-jährigen Krieges und seiner Hinterlassenschaften. 1618, zu Beginn, war er
erst 9 Jahre alt, 1648 beim Abschluss des Westfälischen Friedens gerade 39 und
1673 bei seinem Tod 64. In dieser Zeit war er für das vom Vater geerbte Drittel
an Gartow im Fürstentum Lüneburg verantwortlich und spätestens ab 1625 auch für
das 43 km Luftlinie entfernte zum Kurfürstentum Brandenburg gehörende und in
der Altmark gelegene Gut Klein Schwechten. Gartow wurde durch die Auswirkungen
des Krieges stark mitgenommen, durch zahlreiche Plünderungen, Einquartierungen,
Besetzungen durch schwedische Truppen und das Niederbrennen der Vorburg; nach
dem Kriege wurde die Wirtschaft durch Hochwasserkatastrophen an der Elbe weiter
geschwächt (Detlev Stupperich, Gartow, 1970, S. 30f). Die brandenburgischen
Provinzen wurden zuerst 1625 und danach in den folgenden 15 Jahren in kurzen
Abständen von den Truppen der Dänen, der Schweden, der Pfalz, des Kaisers und
der Liga überrannt. Am schwersten betroffen waren Provinzen wie das der Altmark
benachbarte Havelland und die Prignitz. Der Krieg führte auch zu einem drastischen
Anstieg der Steuern und anderer Zwangsabgaben wie der regulären Kontribution,
einer Land- und Kopfsteuer zur Unterhaltung der Kurfürstlichen Armee, und
weiterer rechtmäßiger und unrechtmäßiger Abgaben, die von ausländischen oder
eigenen Truppen erhoben wurden. (Christopher Clark, Preussen, 2007, S. 52f).
Ob und wieweit Klein
Schwechten selbst in dieser Zeit ähnliches wie Gartow erlebt hat, ist nicht
überliefert worden. Es ist aber schwer vorstellbar, dass es ungeschoren
davongekommen sein sollte, wenn z.B. das nur 15 km Luftlinie entfernte
Bismarcksche Gut und besonders auch das Dorf Krevese (heute Ortsteil von
Osterburg) durch den Krieg, wie es heisst, stark in Mitleidenschaft gezogen
wurden und immer wieder um Übergänge über die 12 km entfernte Elbe gekämpft
wurde, wie z.B. bei Tangermünde und Werben, beide etwa 20 km Luftlinie von
Klein Schwechten entfernt. Die nackten demografischen Zahlen geben vielleicht
das aussagefähigste Zeugnis von dem Leid, von dem die Menschen in Brandenburg
zwischen 1618 und 1648 heimgesucht wurden, Jahren der Mangelernährung, Teuerung
und Krankheiten wie Typhus, Beulenpest, Ruhr und Pocken; etwa die Hälfte der
Bevölkerung fand in der Mark Brandenburg den Tod (Clark, S. 58). In der Altmark
nahm die Sterblichkeitsrate von Ost nach West zwar ab, aber das Ergebnis einer
Visitation der Klein Schwechtener Kirche, wonach es im Jahr 1649 nur noch 20
Communicanten gab, statt wie 49 Jahre vorher 100, spricht Bände (Christian
Schröder, Aus der Geschichte von Klein Schwechten, 1994, S. 29).
Mindestens bis zur
Geburt seiner Tochter Katharina am 02.07.1635 in Gartow wird Johann jedenfalls
auch dort gelebt haben, also bis er 26 Jahre alt geworden war, vermutlich sogar
bis zur ersten Verpachtung 1647, aber auch nicht länger als bis zur Geburt
seines Sohnes Georg Friedrich (39) in Klein Schwechten am 08.12.1650. Klein
Schwechten dürfte bis dahin wie schon 1625 einem Verwalter überlassen worden
sein. Vermutlich konnte Johann sich aber dann mehr oder weniger ausschliesslich
um Klein Schwechten kümmern. Gartow war ja bis zum Jahr 1763 verpachtet.
Mindestens 15 Jahre standen ihm also für die Bewirtschaftung von Klein
Schwechten zur Verfügung, vermutlich aber noch 10 weitere Jahre bis zu seinem
Tod im Jahr 1673. Denn es kann angenommen werden, dass er im Anschluss an die
lange Verpachtungszeit von Gartow dort einen Verwalter eingesetzt hat, ebenso
wie dies später, nach seinem Tod, sein ältester Sohn und Gartower Erbe Cord
(24) wegen einer zu hohen Preisforderung vergeblich versuchte (Stupperich, S.
31). Von seinem Sohn Ernst Ludwig (38), der Klein Schwechten erbte, kann
angenommen werden, dass er während der 10 Jahre bis zu seinem frühen Tod im
Jahr 1683 seine ganze Aufmerksamkeit uneingeschränkt der Bewirtschaftung von
Klein Schwechten widmen konnte. Im Gegensatz zu seinen Brüdern Achaz Christoph
(37) und Georg Friedrich (39) ist von einem Militärdienst bei Ernst Ludwig
nichts berichtet worden. Zusammen mit seiner Frau stiftete er der Kirche von
Klein Schwechten 1681, knapp zwei Jahre vor seinem Tod, einen Kelch und eine
Patene, beide Silber-vergoldet.
Zu Lebzeiten von
Johann und seinem Sohn Ernst Ludwig regierte in Brandenburg der Grosse Kurfürst
(1640 bis 1688). Er widmete sein Leben dem Wiederaufbau des Landes und der
Schaffung einer beweglichen, disziplinierten Streitmacht, eines stehenden
Heeres zur Sicherung der Unabhängigkeit und zur Erweiterung seiner
zersplitterten Herrschaft (Clark, S. 66f). Zum kleineren Teil konnte er den
Aufbau eines stehenden Heeres durch ausländische Subsidien und Erträge aus
seinen eigenen Gütern (etwa ein Drittel des Gebietes der Mark Brandenburg)
finanzieren, stiess aber bei seinen Bemühungen, durch Steuererhebungen den
grösseren Rest zu finanzieren, auf erheblichen Widerstand der Stände. Anfangs
mit Zwang und Einschüchterung, ja sogar Verhaftungen, gelang es ihm
schliesslich, auch durch Konzessionen, sich mit den Ständen zu verständigen,
aber dabei doch ihren Einfluss zugunsten der Steigerung der Kurfürstlichen
Souveränität zurückzudrängen. (Clark, S.82f, und Ernst und Achim Engelberg, Die
Bismarcks, 2010, S. 90f). Was den Adel in den Dörfern angeht, wird aber dort am
Ende des 17.Jahrhunderts deutlich, dass dieser seine soziökonomische
Machtposition weitgehend verteidigt hatte und die dominierende Kraft geblieben
war (Clark, S. 89). Die mit dem Besitz des Rittergutes verbundenen Rechte
umfassten damals das Herrschafts-Recht über alle Gutsansässigen, die niedere
Gerichtsbarkeit, die Polizei-Aufsicht im Gutsbezirk, den besonderen
Gerichtsstand des Besitzes, das Jagdrecht, Brau- und Brenn-Gerechtsame,
Kirchen-Patronat, Schulaufsicht und das Gewohnheitsrecht, sich nach dem Gut zu
nennen (Walter Görlitz, Die Junker, 1981, S. 96f). Der Adel behielt das Monopol
auf den Besitz von Rittergütern, Abgabefreiheit, Zollfreiheit für Korn- und
Wollausfuhr, das Vorrecht auf Getreideausfuhr und die Verfügung über die
bäuerlichen Frondienste und Abgaben (Engelberg, S. 91 – vgl. im einzelnen auch
Schröder, S. 41, und Engelberg, S. 104ff am Beispiel Krevese). Diese dörfliche
Sozial- und Herrschaftsstruktur, die bis zum Zusammenbruch Preussens im Jahr
1806 erhalten blieb (Engelberg, S. 93), war ursprünglich aus der
Lehnsverfassung hervorgegangen, wonach der Ritter dem Landesherrn Rossdienste
zu leisten hatte und dafür eine Grundherrschaft mit einem meist kleinen
Gutsbetrieb erhielt, für den die Bauernwirtschaften dem Grundherrn bis ins 15.
Jahrhundert hinein vornehmlich Geldrenten zu entrichten hatten (Engelberg, S.
107f und S. 43).
Johann Albrecht (41), Ernst Ludwigs Sohn, war der erste Bülow,
der als Erbe von Klein Schwechten Soldat wurde. Als sein Vater 1683 starb, war
er erst knapp 6 Jahre alt. Wie viele Gutsbesitzerssöhne damals dürfte er zuerst
Privatunterricht durch Hauslehrer genossen haben (Engelberg, S. 103), um dann
im Alter von etwa 16 Jahren, also um 1693, nachdem der spätere erste
preussische König Friedrich I. als Kurfürst die Herrschaft 1688 in Brandenburg
übernommen hatte, in die Armee einzutreten. Was mag ihn dazu bewogen haben? Sah
er sich angesichts der vielfachen Beschwernisse in der Agrarwirtschaft in der
2. Hälfte des 17. Jahrhunderts wie viele der Nachkommen des Landadels dazu
gezwungen (Engelberg, S. 83)? Waren es die dank der Aufrüstung der brandenburgischen
Armee durch den Grossen Kurfürsten fortwirkenden günstigen Gelegenheiten zu
einer militärischen Karriere, die Hoffnung auf eine Teilnahme an eventuellen
Gefechten oder einfach der Überdruss an der Enge des dörflichen Lebens in der
Heimat? Um Klein Schwechten brauchte er sich wohl zunächst keine Sorgen zu
machen. Seine Mutter wird die Zügel in die Hand genommen und mit oder ohne
Verwalter mindestens bis zu ihrer Wiederverheiratung 1693 auch behalten haben.
Danach ist dann entweder ein Verwalter eingesetzt worden oder ihr 2. Mann,
Joachim Ludolph von Alvensleben hat neben seinen Gütern Kalbe, 30 km Luftlinie
von Klein Schwechten entfernt, und Rohda, auch Klein Schwechten bewirtschaftet,
bis Johann Albrecht um das Jahr 1707 als Erb- und Gerichtsherr das Regiment in
Klein Schwechten übernahm.
Bis dahin hatte er es
lt. dortigem Kirchenbuch bis zum Hauptmann beim “hochlöblichen Bottmarschen
Dragoner-Regiment Seiner königlichen Majestät von Großbritannien“ gebracht; im
Familienbuch von 1911 heisst es dagegen, dass er Kurfürstlich
Braunschweigisch-Lüneburgischer Hauptmann war, als er 1706 eine Trauerode auf
seine beiden in Siebenbürgen gefallenen Brüder Achaz Ludwig (40) und Ernst
Gottfried (42) verfasste. Mit deren Tod waren im übrigen im Jahr 1706 ihre
Anteile an Klein Schwechten auf ihn gefallen. Die Belehnung erfolgte schon
1708. Friedrich Wilhelm I., der seinem Vater Friedrich I. 1713 auf dem
preußischen Thron gefolgt war, verfügte bald darauf im Jahr 1717 die sog.
Allodifizierung der Lehen, d. h. die Umwandlung der Lehn-Güter in eigenen
Besitz gegen Zahlung einer Geldabgabe, des Lehns-Kanons. Fortan ruhte auf den
Rittergütern nur der Lehns-Kanon, ferner das sog. “Kavallerie-Geld“, ein
Beitrag zur Unterhaltung der Reiterei, und der von den Bauernhufen bestrittene
Hufen-Schoss. (Görlitz, S. 95f). Johann Albrecht hat dann ab 1707 nach seiner
Heirat etwa 40 Jahre bis zu seinem Tod seine ganze Aufmerksamkeit Klein
Schwechten widmen können. 1717 stifteten er und seine erste, schon seit
längerem bettlägerige Frau der dortigen Kirche einen Altar mit Kanzel, einen
sog. Kanzelaltar. Dieser ist flankiert von gewundenen Säulen, gekrönt von einem
Ölbild mit der Kreuzigung und in der Predella und am Kanzelkorb mit dem
Abendmahl bzw. Christus und den Evangelisten bemalt. Die beiden aus Holz
geschnitzten barocken Rahmen der seitlichen Durchgänge sind von den Wappen der
Stifter (Bülow, Bismarck) gekrönt. Ein Täfelchen trägt die Inschrift „Dieses
Crucifix setzet zum Andencken ihres Seeligen Hertz vielgeliebten Sohnes
Heinrich Georg Carlens, deßen Frau mutter die Hochwohlgebohrne Frau Frau Dorothea
Agnes v. Bülowen gebohrne von Bismarcken Klein Schwechte d. 24. Apr. 1717.“
In Johann Albrechts
Lebenszeit als Herr auf Klein Schwechten regierten anfangs noch 6 Jahre König
Friedrich I. und am Ende 8 Jahre Friedrich der Grosse, die längste Zeit von 27
Jahren aber von 1713 bis 1740 Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig. Dieser
konzentrierte während seiner Regierungszeit seine ganze Energie auf die
Aufgabe, das Heer zu vergrößern und dessen Schlagkraft zu erhöhen; er machte
den Dienst im stehenden Heer für alle seine Untertanen rechtsverbindlich
(Gordon A. Craig: Die preußisch-deutsche Armee 1640 – 1945, Athenäum/Droste
Taschenbücher Geschichte 1980, S. 26 f). Gleich zu Beginn seiner Regierungszeit
erklärte er es für ungesetzlich, wenn Mitglieder des Adels Dienst in fremden
Armeen annahmen. Gleichzeitig ordnete er an, Listen von allen jungen Adligen
zwischen 12 und 18 Jahren anzufertigen, anhand deren er persönlich diejenigen
auswählte, die zu dem von ihm eingeführten Kadetten-korps in Berlin, der Pforte
zum Offizierskorps, zugelassen werden sollten (Craig, S. 29). Wenn sie nicht
diesem Drill unterworfen wurden, traten sie in die Dienste höherer Offiziere
ein (Engelberg, S. 146). Nach Sinn (Der Alltag in Preußen, 1991, S. 398)
durften die adligen Söhne nicht an ausländischen Universitäten studieren. Um
1724 gab es in den hohenzollernschen Gebieten kaum eine Adelsfamilie, die nicht
einen ihrer Söhne im Offizierskorps hatte (Craig, S. 29); von den sieben Söhnen
von Johann Albrecht waren sogar sechs Offiziere. Das bedeutete aber zugleich
auch eine solide, bessere Erziehung und einen höheren Lebensstandard, als die
adligen Jungen vom Lande sonst hätten erwarten können, und die Gelegenheit, in
höhere militärische und staatliche Posten und in eine soziale Stellung -
verbunden mit der Hoffähigkeit - aufzurücken, die im Staat nicht ihresgleichen
hatte (Craig, S. 30). Zwar war das Avancement langsam; erst nach ungefähr 15
Dienstjahren wurde der Kapitänsrang (Hauptmann) erreicht (Sinn, S. 398). Die
Besoldung bis dahin war niedrig und man war auf Unterstützung von zu Hause
angewiesen oder musste Schulden machen (Sinn, S. 401 und Görlitz, S. 162).
Erlangte aber einer den Kapitänsrang, so war er Chef einer Kompanie Infanterie
oder einer Schwadron Kavallerie, die er wie ein Wirtschaftsunternehmen “besaß“,
von dem er leben konnte. Vom König erhielt er ein Pauschquantum, von dem er
seine Kompanie nach Zahl und Ausrüstung komplett zu unterhalten und die Kosten
für die Anwerbung von Soldaten zu tragen hatte. Um am Werbeetat wirksam
einsparen zu können, bevorzugte der Kompanie-Chef seine eigenen bäuerlichen
Gutsuntertanen, denn sie waren “enrolliert“, d. h. erfasst und
dienstverpflichtet und kosteten kein Werbegeld. Genau diese Soldaten (=
Gutsuntertanen) wurden aber während der langen Urlaubszeit von 10 Monaten, für
die sie der Kompanie-Chef beurlauben durfte, als Arbeitskräfte auf das Gut mit
dem Vorteil entlassen, dass dieser den halben, ab 1718 sogar den ganzen Sold
einbehalten konnte; dasselbe galt für den Sold der ausländischen Soldaten, die
der Kompanie-Chef geworben hatte (sog. “Freiwächter“) und die sich während der
monatelangen Urlaubszeit ihren Lebensunterhalt anderweitig verdienen mussten.
(Sinn, S. 401 ff).
Es versteht sich von selbst, dass die Pflicht zum Königsdienst
oft eine erhebliche Benachteiligung des eigenen Besitzes bedeutete, wenn dessen
Herr für Jahre und Jahrzehnte dem Gut fernbleiben musste (Görlitz, S. 93).
Johann Albrechts ältester 1709 geborener Sohn Ernst Ludwig Achaz (43),
hatte jedoch das Glück, dass sein Vater in Klein Schwechten lebte und
wirtschaftete, als er selbst sich seiner militärischen Laufbahn widmen musste.
Diese führte ihn bis zum Kapitän im Dragoner-Regiment von Normann, bis er wegen
Kränklichkeit seinen Abschied nahm und nach Klein Schwechten zurückkehrte. Das
dürfte spätestens, nachdem sein Vater 1748 im Alter von 71 Jahren gestorben
war, gewesen sein, also als er selbst 39 Jahre alt war. Denn ein Jahr darauf
heiratete er lt. Kirchenbuch als “Gerichtsherr und Kirchenpatron in Klein Schwechten“,
und sein ältester Sohn Carl Friedrich Gottlieb wurde wiederum ein Jahr später
am 29.09.1750 lt. Kirchenbuch ebendort geboren. Ernst Ludwig Achaz hat also
offenbar, wie sein Vater vor ihm, das “sozusagen normale Dasein des Edelmannes
der Zeit“ führen können, “das vom Kadettenkorps über den Dienst in der Armee
aufs Land führte, wo man schlecht und recht das Gut der Väter bewirtschaftete,
der Jagd und einem oft sehr biderben geselligen Leben ohne sonderliche geistige
Ansprüche huldigte“ (Görlitz, S. 155). Die sechzehn Jahre, die ihm bis zu
seinem Tod im Jahre 1764 zur Bewirtschaftung von Klein Schwechten verblieben,
gestalteten sich jedoch als besonders schwierig für die Landwirtschaft. Die
Kriege und wirtschaftlichen Zerrüttungen in den 1740er und 1750/1760er Jahren,
verschärft noch durch die staatliche Manipulation des Kornmarktes durch das
Magazinsystem und die demographische Überlastung durch den natürlichen Zuwachs
der landbesitzenden Familien, setzte den Landadel zusehends unter Druck (Clark,
S. 193).
Nach dem 7-Jährigen Krieg verschlimmerte sich die Lage des fast durchweg
überschuldeten Grundbesitzes noch. In ganz Preußen begann eine Verschul-dungs-
und Kreditkrise, die aber nur den grossen Besitz traf, da der bäuerliche Besitz
unverschuldbar und unverkäuflich war. Bislang waren die Güter schlecht und
recht mit hand- und spanndienstpflichtigen sog. Scharwerksbauern, d. h. im
Frondienst, bewirtschaftet worden und die Basis gewesen, die dem Edelmann den
Dienst in der Armee und im Staatsbeamtentum gestattete. Die beginnende
Intensivierung und Rationalisierung der Landwirtschaft forderten vom
Land-junker jetzt, dass er neben den Tugenden des Offiziers und Beamten auch
die fachliche Schulung des gebildeten Landwirtes pflegte, ja dass er
eigentlich, wollte er die Scholle der Väter behaupten, in erster Linie Landwirt
und nicht mehr Offizier oder Staatsdiener sein musste. Die wirtschaftliche
Umstellung inmitten der Kreditkrise vermehrte die Schwierigkeiten für den
Gutsbesitz, da sie zusätzliches Betriebskapital erforderte. Seit dieser Zeit
datierte bei sehr vielen Gütern die übermäßige hypothekarische Belastung als
Dauerzustand und lässt sich der Besitzrückgang großer, alteingesessener
Geschlechter verfolgen. Die nach dem 7-Jährigen-Krieg einsetzende neue Agrarkonjunktur
änderte nichts an der Verschuldung, im Gegenteil, sie lieferte neuen Anreiz
dafür. (Görlitz, S. 126 ff).
Carl Friedrich Gottlieb (44) war erst vierzehn Jahre
alt, als er sich nach dem Tod seines Vaters 1764 als Erbe von Klein Schwechten
diesem Problem und den neuen Aufgaben für die Landwirtschaft gegenüber sah. In
diesem Alter aber begann in Preußen gewöhnlich die Ausbildung zum Offizier. Der
militärischen Laufbahn konnte man sich nach dem 7-Jährigen Krieg sicher noch
weniger entziehen als vorher schon. Denn in jenen Jahren war die Blüte des
friderizianischen Offizierskorps dahingerafft worden und der Bedarf an
Offizieren dementsprechend gestiegen, insbesondere an solchen, die zum Adel
gehörten. Friedrich II. (1740 – 1786), der sich während des Krieges gezwungen
gesehen hatte, ausländische und sogar bürgerliche Offiziere einzustellen,
schloss die letzteren nach 1763 nämlich rigoros wieder aus der Armee aus.
(Craig, S. 44). Dennoch gibt es nirgends einen Hinweis auf Carl Friedrich
Gottliebs etwaige militärische Karriere in Preussen zwischen 1764 und 1779 wie
z.B. den in den Familienbüchern gewohnten Auszug aus einem
Militärpersonalbogen. Im Familienbuch von 1780 heisst es nur, dass er die
„preussischen Dienste als Lieutenant des ehemaligen von Hordtischen Regiments“
verliess. Das muss 1779 gewesen sein, als das 1778 durch den schwedischen
Grafen Hordt aufgestellte und dem Prinzen Heinrich von Preussen unterstellte
Freiregiment nach dem Bayerischen Erbfolgekrieg (03.07.1778 bis 13.05.1779)
wieder aufgelöst wurde (Ernst Graf zur Lippe-Weissenfeld, Johann Ludwig Graf
von Hordt, Allgemeine Deutsche Biographie, Band 13, Leipzig 1881, S. 127). Er
wird es also entweder in diesem kurzen Krieg ohne grössere Gefechte erstaunlich
schnell vom Offiziersanwärter bis zum (Sekonde-) Leutnant gebracht oder aber
vorher in einem ausländischen, vielleicht in einem französischen Freiregiment
gedient haben, denn alle preussischen Freiregimenter, darunter auch eines des
Grafen Hordt, waren nach dem 7-jährigen Krieg aufgelöst worden. Ersteres ist
aber wohl wahrscheinlicher und jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen. Der
spätere Feldmarschall Graf Neithardt von Gneisenau brauchte sogar in der
regulären Truppe des Markgrafen von Ansbach-Bayreuth nur 2 Jahre vom Kadetten bis
zum Sekondeleutnant, ebenso auch Carl Friedrich Gottliebs Sohn Theodor vom
Junker bis dahin - und dies in beiden Fällen in Friedenszeiten.
Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass Carl Friedrich
Gottlieb den grössten Teil des Zeitraumes von 14 Jahren zwischen 1764 und 1778
in Klein Schwechten verbracht hat. Die Aufgabe, in den wie vorstehend
beschriebenen schwierigen Zeiten für die Landwirtschaft ganz auf sich allein
gestellt die Verantwortung für den Gutsbetrieb zu übernehmen, kann ihm aber
nicht sonderlich reizvoll erschienen sein, und er mag sich zumindest in den
ersten Jahren nach Antritt der Erbschaft als sehr junger Mann den mannigfachen
Aufgaben auch nicht gewachsen gefühlt haben. Dennoch hat er offenbar lange
gehofft, Klein Schwechten halten zu können. Ob mit oder ohne Verwalter an der
Seite wird sein Bemühen um die Gutswirtschaft aber kaum von Erfolg gekrönt
worden sein. Sonst hätte er wohl nicht die Aufstellung eines Freiregiments für
den Bayerischen Erbfolgekrieg als Gelegenheit erkannt und genutzt, ohne Drill
und mit höherem Sold als bei der regulären Truppe schnell avancieren und zu
Geld kommen zu können. Gneisenau trat übrigens um die gleiche Zeit ebenfalls
aus finanziellen Gründen in ein Freiregiment ein. Dabei störte es Carl
Friedrich Gottlieb offenbar nicht, dass die Freiregimenter nicht nur für
weniger vornehm galten als die Dragoner und Kürassiere, bei denen die
Angehörigen seiner Familie bislang gedient hatten (Görlitz, S.107), sondern
sogar einen zweifelhaften Ruf hatten (Friedrich II.: Geschmeiss); demgegenüber
genoss aber jedenfalls der Chef des von ihm gewählten Freiregiments einen
hervorragenden Ruf als „kriegerisch gediegen und von feiner gesellschaftlicher
Bildung, die ihm das Vertrauen und den engeren Verkehr mit gekrönten und anderen
höchsten Persönlichkeiten verschafften“ (Lippe – Weissenfeld, S. 127).
Offenbar um die gleiche Zeit, als er 1778 in das Freiregiment
eintrat (lt. Familienbuch von 1780: seit kurzem) überliess Carl Friedrich
Gottlieb Klein Schwechten seinem drei Jahre älteren Vetter Hans Adam (49). Das
war sicher sinnvoll, da dieser - bereits im Alter von fünf Jahren - das von
seinem Vater gekaufte Gut Neuburg geerbt hatte und es selbst bewirtschaftete,
also wohl landwirtschaftlich versiert war. Nicht klar ist, ob er Klein
Schwechten seinem Vetter nur zur Verwaltung übergab, es ihm verpachtete oder
gar verkauft hat, wie das Familienbuch von 1780 meint, wenn es diesen als „itzo
auf Neuburg und Klein Schwechten“ bezeichnet und in der Stammtafel deutlich
sagt, dass Carl Friedrich Gottlieb ihm das Gut verkauft habe; im Familienbuch
von 1914 ist jedoch vom Verkauf keine Rede mehr. Damit ist auch offen, wer 1787
den Erbpachtvertrag mit Klein Schwechtener Bauern über den „grössten Teil der
Ländereien des beträchtlichen Rittergutes Klein Schwechten“ abgeschlossen hat
(H. Ch. Steinhart, Über die Altmark, 1800-1802, S. 243, der warnend auf
die mit der Erbpacht verbundenen Nachteile, einschließlich der Gefahr
geringerer Erträge als bei einer Zeitpacht verweist). Obwohl jetzt befreit von
der Bürde des Gutes, heiratete er bald nach Ende des Krieges im Oktober 1779 in
Klein Schwechten, wo dann im Jahr darauf auch sein erster Sohn Theodor geboren
wurde. Um diese Zeit dürfte er also auch dort wieder, aber nur vorübergehend
gelebt haben, denn ein Jahr darauf liess er sich am 13.06.1781 beim preußischen
Infanterie-Regiment von Kowalsky einstellen. Auch diese Fortsetzung seiner
militärischen Laufbahn, zunächst als Unteroffizier, erscheint als ziemlich
ungewöhnlich, nachdem er vorher schon als Leutnant gedient hatte. Trotz der
Berücksichtigung dessen brauchte es aber zwei Jahre bis zum Fähnrich, weitere
sechs Jahre bis zum Sekondeleutnant und noch einmal sechs Jahre, also insgesamt
14 Jahre bis zum Premierleutnant (sein Vetter Friedrich Wilhelm, der spätere
Generalfeldmarschall Graf Bülow von Dennewitz, brauchte sogar siebzehn Jahre
bis dahin). Aber es blieb ihm wohl keine andere Wahl. Er musste ja, jetzt mit
Frau und Kind und wohl ohne oder mit reduzierten Einkünften vom Gut Geld
verdienen. Vielleicht hatte er auch keine Lust zum Leben auf dem Land. Um 1780
lebten z.B. in der Kurmark nur 25 % der Grundbesitzer ständig auf dem Lande,
teils eine Folge des Dienstes, teils eine Folge bequemerer Lebensanschauungen
(Görlitz, S. 157). Ihm wird also sehr daran gelegen haben, seine militärische
Laufbahn in einem der regulären Regimenter fortzusetzen, hat er sich doch
offenbar dafür sogar um fünf Jahre jünger gemacht. Lt. seinem
Militärpersonalbogen war er nämlich erst im September 1755 geboren, lt. Kirchenbuch
aber schon am 09. 09. 1750, was glaubhafter ist, da er in der Stammtafel vor
seiner 1754 geborenen Schwester und vor seinem 1757 geborenen Bruder als der
Ältere aufgeführt ist und ja als solcher das Gut erbte.
Was geschah ab 1778 mit Klein Schwechten? Wie groß war das
Engagement des kinderlos bleibenden Vetters für Klein Schwechten neben seiner
Hauptaufgabe Neuburg? Wie erfolgreich erwies dieser sich bei der Bewältigung
der großen Aufgaben dieser Jahre? Nachdem er gestorben war und seine Frau kurz
danach ebenfalls fiel das Gut 1804 an Carl Friedrich Gottlieb wieder zurück.
Seit 1798 Stabskapitän beim Infanterie-Regiment Nr. 26, erhielt er 1805 den
nachgesuchten Abschied und übernahm jetzt aufs neue die Verantwortung für Klein
Schwechten. Nun musste er erleben, dass auch durch Brandenburg die Truppen
Napoleons mit oft unerschwinglichen Kontributionsforderungen, mit Requisitionen
und Plünderungen marschierten und dass die von diesem verhängte Sperrung des
Kontinents gegen den Handel mit England den Getreideexport unterbrach. Die
Erntevorräte wurden von eigenen oder fremden Truppen beansprucht, das Vieh oft
geschlachtet. Mit dem Zusammenbruch der politischen Ordnung im Jahr 1806 brach
auch die Landwirtschaft zusammen. Obwohl im Durchschnitt zwischen 1750 und 1806
der Wert jeden Gutes um mindestens 100 % gestiegen war, hatte jedoch
gleichzeitig die Verschuldung der Güter ein ungesundes Maß erreicht. Nur die
Fortdauer der Konjunktur konnte die Begleichung der Zinsen gewährleisten.
(Görlitz, S. 173 f). Dieser Entwicklung konnte sich sicher auch Klein
Schwechten nicht entziehen, nachdem Carl Friedrich Gottlieb erst im Alter von
55 Jahren das Gut wieder in die eigenen Hände nahm, zumal er über keinerlei
wesentliche landwirtschaftliche Erfahrungen verfügt haben dürfte.
Ein Jahr nach Carl Friedrich Gottliebs Rückkehr nach Klein
Schwechten unterbrachen die Schlacht bei Jena und Auerstedt und die
darauffolgende Kapitulation des Korps Hohenlohe die militärische Laufbahn
seines 1780 geborenen Sohnes Theodor Christian Ernst Heinrich Friedrich
(127), der noch nicht 16 Jahre alt als Junker 1796 im Infanterie-Regiment von
Puttkamer eingestellt und nach zwei Jahren zum Sekondeleutnant ernannt worden
war. Dieser zog daraufhin 1807 als 27-jähriger mit seiner Frau nach Klein Schwechten.
Ob er seinem Vater in dessen vier letzten Lebensjahren ohne eigene einschlägige
Erfahrungen bei der Bewirtschaftung von Klein Schwechten eine Hilfe sein
konnte, ist fraglich. Jedenfalls übernahm er laut Familienbuch von 1914 „nach
dessen Tode am 22.06.1811 unter den misslichsten Verhältnissen die
Bewirtschaf-tung des sehr verschuldeten Gutes, das er 1812 nach Weihnachten den
Gläubigern überlassen musste“. Der letzte Anstoss zur Aufgabe Klein Schwechtens
war dann wohl gewesen, dass das Jahr 1812 neue Kriegs- oder Requisitionsschäden
auch für die Mark Brandenburg gebracht hatte und neue Steuern zu einer
außergewöhnlichen wirtschaftlichen Belastung des alten Grundbesitzes führten
(Görlitz S. 206).
Dem Offiziersberuf, dem sich in den Generationen vorher viele,
vor allem jüngere Söhne der Klein Schwechtener Bülows gewidmet hatten, blieb
man nach dem Verkauf des Gutes aber noch drei weitere Generationen hindurch
treu. Der Blutzoll, den die männlichen Nachkommen von Carl Friedrich Gottlieb,
dem vorletzten Besitzer von Klein Schwechten, entrichten mussten, war
allerdings beträchtlich. Von seinen zwei Söhnen fiel der jüngere Carl Friedrich
(129) 1815 bei Ligny. Die beiden Enkel, einer mit Kriegserfahrung, blieben zwar
am Leben, aber von seinen drei Urenkeln fielen Hermann (131) 1870 vor Metz und
Curt (209) 1914 bei Verdun. Von seinen drei Ururenkeln schließlich fiel Fedor
(224), nachdem er schon den 1. Weltkrieg als sehr junger Offizier an allen
Fronten mitgemacht hatte, 1940 als Reserveoffizier in Frankreich. Er war als
erster Bülow des Zweiges Klein Schwechten wieder Landwirt geworden. Sein früher
Tod vereitelte sein Vorhaben, sich anzukaufen und damit die Familie wieder
ansässig zu machen. Trotz der vielen Aderlässe über die Jahrhunderte steht der
Zweig Klein Schwechten heute noch auf 14 Augen. Soldat ist keiner mehr.
(Ende)